In diesem Blog geht es ausschließlich um Literatur oder, einfacher gesagt, um Bücher. Ihr findet hier Buchempfehlungen, meine Rezensionen zu Büchern und e-Books, die ich gelesen habe, und Hinweise auf Downloads von e-Books. Da ein Blog durch Kommentare am Leben gehalten wird, würde ich mich sehr freuen, wenn Ihr diese Funktion fleißig nutzt.

Donnerstag, 18. Februar 2016

"Westermann und Fräulein Gabriele" von Katharina Münk

Was wäre wenn ... so beginnen oft die interessantesten Gedankenexperimente. Könnten wir ohne Computer und Internet überhaupt noch leben und unseren Alltag meistern? Katharina Münk ist dieser Frage nachgegangen und schickt dafür ihren Helden aus der digitalen Totalvernetzung in die analoge Wüste. Diese befindet sich nicht etwa auf einer einsamen Insel oder Berghütte, sondern mitten in  der Vorstandsetage eines IT-Großkonzerns.

Richard Westermann, 52 Jahre alt, alleinlebend mit 17 jährigem Sohn, Vorstandsmitglied des Konzerns IBT, hat ein seltsames Hobby: Er geht auf Beerdigungen ihm unbekannter Menschen. Das ist seine Art der Entschleunigung, hier schaltet er sein Smartphone auf Flugmodus - um nach der Beerdigung durch zig neue Nachrichten zu scrollen. Ein Zufall führt Westermann auf die Beerdigung Höfers, eines berühmten Schriftstellers, und sein Wunsch, dessen Schreibmaschine zu besitzen, erwacht. Von da an tauchen immer mehr Schreibmaschinen in der Geschichte auf, das tack, tack, tack, tack, pling ... scheint, ähnlich wie Westermanns Tinnitus, allgegenwärtig. Fräulein Gabriele ist natürlich, wie das Cover des Buches bereits verrät, ebenfalls eine dieser Schreibmaschinen. 

Was mir an diesem Buch so ausnehmend gut gefallen hat, ist der feine Humor zwischen den Zeilen. Situationen sind allein dadurch witzig, dass sie den gängigen Klischees widersprechen - wie zum Beispiel das Meeting auf der nach Hund stinkenden karierten Picknickdecke. Die Autorin nimmt viele unserer liebgewordenen Alltagsgewohnheiten aufs Korn. Westermanns neue Art der Entschleunigung hält uns einen Spiegel vor die Nase - müssen wir wirklich immer und überall erreichbar sein, unser Leben in Dateien quetschen und diese auf ewig (?) irgendwo sichern? Die Story lebt von den Widersprüchen zwischen den Figuren. Yolanda, Westermanns Mutter, entdeckt mit 82 Jahren das "Internetz" für sich, freut sich über jede digitale Spur, die sie hinterlässt, während Höfers Sohn zeitgleich daran verzweifelt, dass sein verstorbener Vater auf ewig im Netz weiterleben wird. 

Witzig sind auch die Wortschöpfungen, mit denen die Autorin vermeidet, "Schleichwerbung" für allgemein bekannte Marken zu betreiben. In der Geschichte wird "gestroogelt", man benutzt Happs und Westermann selbst sitzt im Vorstand von IBT, dem Konzern, der im knallharten Wettbewerb mit Happle steht. 

Am Anfang hatte ich ein wenig Schwierigkeiten, in die Geschichte hineinzukommen. Warum, kann ich gar nicht erklären. Auf jeden Fall hat sich das Weiterlesen sehr gelohnt. Ich habe mich lange nicht mehr so amüsiert, aber auch oft nachdenklich mit meinem Leben verglichen. Schade eigentlich, dass meine mechanische Schreibmaschine längst beim Trödler gelandet ist. Richard Westermann ist mir in seiner Widersprüchlichkeit und seinem Drang zur Rebellion sehr sympathisch. Auch und gerade weil er nicht immer alles richtig macht. Ich glaube, wenn ich ein Mann wäre, wäre ich gern wie Westermann. 😊

Eine außergewöhnliche Geschichte, präsentiert in einem schönen Buch. Der Titel und die Kapitelüberschriften sehen aus, wie mit Schreibmaschine geschrieben und geben dem Buch dadurch noch mehr Authentizität. Zusammenfassend fallen mir lauter plakative Sätze ein wie: "Die Welt braucht mehr Westermanns!", "Entdecke den Westermann in Dir!" oder "Sind wir nicht alle ein bisschen Westermann?"


Fazit: 5***** und unbedingte Leseempfehlung! 

Das Taschenbuch ist bei der dtv Verlagsgesellschaft erschienen, hat 352 Seiten und kostet 14,90 Euro. Das E-Book kostet 12,99 Euro. Ein Hörbuch ist ebenfalls erhältlich. 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen